Opposition, die

Was sich am letzten Mittwoch im Gemeinderat abspielte, hat quasi-rituellen Charakter. Es wiederholt sich alljährlich, wenn wir den Geschäftsbericht des Stadtrats beraten. Am Anfang dieser Debatte steht jeweils eine zusammenfassende Würdigung der Geschäftstätigkeit unserer Exekutive; sie fiel auch dieses Jahr positiv und anerkennend aus, obschon vorgetragen durch den bürgerlichen Präsidenten der zuständigen Geschäftsprüfungskommission. Und wie es sich für eine Würdigung gehört, geschieht sie in kritisch-wohlwollendem Geist – denn es ist unbestritten: Wo eine Exekutive und ihre Verwaltung am Werk sind, gibt es immer Raum und Bedarf für Verbesserungen.

Daran anschliessend aber sieht das Ritual die Salve vor. Geschossen aus den Rohren derjenigen Partei, die in ihrer selbst gewählten Oppositionsrolle Zürich seit Jahren in den schrillsten Tönen schlechtredet. Was die SVP dann allerdings konkret bemängelt, hält in keiner Weise Schritt mit der Dramatik, mit der die Situation Zürichs beschrieben wird: Allzu zufällig sind die Beispiele aus den Ressorts der Stadtpräsidentin, mit welchen die behauptete Unfähigkeit des Stadtrats belegt werden soll. Und dass „Bussenterror“ und Autoschikanierung durch Tempo 30 beklagt werden, lässt sich als gemeinschaftsstifendes Ritual innerhalb einer auf Opposition getrimmten Fraktion vielleicht nachvollziehen, die Realität unserer Stadt beschreibt es nicht.

Natürlich ist dieses alljährliche Schauspiel nicht ohne Unterhaltungswert. Was es aber in erster Linie aufzeigt ist die Tatsache, dass Fundamentalopposition allein – also der Widerstand gegen nahezu alles und jedes, das uns der Stadtrat vorlegt – nicht nur wirkungslos, sondern vor allem inhaltsleer ist. Welche Vorstellung für die Zukunft Zürichs ist denn da am Werk? Und: Wie wäre ein Gemeinwesen lebensfähig, für das die SVP Verantwortung übernehmen müsste?

Die Beratung eines Geschäftsberichts gäbe doch eigentlich Anlass dazu, Antworten auf solche Fragen zu erhalten. Nach sieben Jahren, in denen ich dem Ritual nun beiwohnen darf, verfestigt sich stattdessen das Bild einer Partei, die – nicht nur auf Bundesebene, sondern eben auch in der Gemeinde – wissentlich und willentlich in der Rolle verharrt, für ihre Politik nie die Verantwortung übernehmen zu müssen, weil sich die gut zu vermarktende Opposition als Selbstzweck anders nicht aufrechterhielten liesse. Nein, Zürich ist nicht das Paradies auf Erden – keine politische Kraft darf und soll sich scheuen, den Finger auf wunde Punkte zu legen. Es ist deshalb selbstverständlich, dass auch die SP den Geschäftsbericht des Stadtrats wie stets nicht bloss abgenickt, sondern ihn mit der nötigen kritischen Grundhaltung durchgearbeitet hat. Aber Zürich, der Stadtrat und die Verwaltung verdienen auch das Lob, das ihnen gebührt für die Art und Weise, wie die Stadt sich in nicht einfachen Jahren behauptet, wie sie hervorragende Leistungen zugunsten der Bevölkerung erbringt und wie sie in einigen gesellschaftlichen und sozialen Fragen weiterhin eine Pionierrolle für die Schweiz einnimmt.

Loben, so wissen wir alle, ist oft schwieriger als kritisieren. Das gilt es in der Politik auszuhalten, gegen Kritik ist nichts einzuwenden. Ist sie aber daran interessiert, wirklich etwas zu verändern, muss Kritik – auch jene der Opposition – mehr sein als das blosse Abarbeiten eines wiederkehrenden Rituals. In einem Jahr besteht die nächste Chance dazu.